Die soziale Konstruktion architektonischer Authentizität. Eine Kultursoziologie der Bewertungsprozesse im urbanen gebauten Raum

Projektbeschreibung


Das DFG-Forschungsprojekt fragt nach den Praktiken der sozialen Konstruktion von „Authentizität“ in der urbanen Architektur der Gegenwart. Es bewegt sich damit an der Schnittstelle mehrerer soziologischer Forschungsfelder, die aus einer kultursoziologischen Perspektive zusammengebunden werden: der Architektursoziologie, der Raum- und Stadtsoziologie, einer Soziologie von Bewertungspraktiken sowie einer Kultursoziologie der Bedeutung von „Authentizität“ in der Spätmoderne.

Der Ausgangspunkt und Hintergrund des Projekts ist der tiefgreifende Prozess einer sogenannten „cultural regeneration“ (Bassett 1993, Miles 2005) in den westlichen Großstädten, die seit den 1980er und 90er Jahren stattfindet. Im Zuge dieser „Kulturalisierung“ (Reckwitz 2009) werden die westlichen Städte mehr und mehr unter dem Aspekt ihrer spezifischen „kulturellen“ Qualität umstrukturiert (Erlebniswert, Freizeit- und Konsummöglichkeiten, touristische Interessantheit etc). Im Rahmen dieser „cultural regeneration“ der Städte kommt der Architektur, der Gestaltung und Gestalt des gebauten Raums und darin einzelner Gebäude, eine besondere Rolle zu: Architekturen werden beispielsweise als Ausdruck einer spezifischen Urbanität wahrgenommen, sie werden als „passend“ zum Image einer Stadt oder als gut in ein bestimmtes stadträumliches Ensemble „integriert“ betrachtet, sie werden aufgrund ihrer historischen Bedeutung für die Stadt als schützenswerter Baubestand begriffen, sie werden als gelungen oder misslungen bewertet. Diese Bewertungen beziehen sich auf gesellschaftlich zirkulierende, mehr oder weniger implizite soziale Kriterien des „Gelungenen“ oder „Misslungenen“, die die Planung und Nutzung von Gebäuden organisieren.

Die Ausgangsthese des Projekts lautet: Diese gesellschaftlichen Beurteilungsformen des gebauten Raums kreisen zentral um das Verständnis ihrer architektonischen Merkmale als „authentisch“ oder „unauthentisch“. Authentizität ist in der spätmodernen Gesellschaft generell ein zentraler kultureller Wert, der in verschiedensten sozialen Feldern zirkuliert. Paradoxerweise suggeriert Authentizität, einen „natürlichen“ Zustand der Stimmigkeit zu bezeichnen, tatsächlich hängt sie jedoch von umstrittenen sozialen Bewertungskriterien ab. In der Frage der Gestaltung des gebauten Raums erhält sie eine besonders interessante, aber bisher kultursoziologisch noch nicht aufgearbeitete Relevanz. Authentizität lässt sich in diesem Zusammenhang in zweierlei Hinsicht verstehen: als Anspruch an eine als „stimmig“ wahrgenommene Gestaltung eines Neubaus ebenso wie als spezifische Perspektive auf eine historische Bausubstanz. Das kulturalistische Kriterium der Authentizität tritt dabei zunehmend neben andere, ältere Bewertungsmaßstäbe wie Wirtschaftlichkeit und politische Repräsentation und neben andere neuere Kriterien wie Ökologie bzw. Nachhaltigkeit, deren Beziehungsgeflecht im Projekt erforscht werden soll.

Aktuelles


Teilprojekte

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Dr. Hilmar Schäfer

Projektkoordination
„‚Authentizität‘ als Auszeichnung im Rahmen des UNESCO-Weltkulturerbes.
Die Fallstudie behandelt die architekturbezogene Auszeichnungspraxis des UNESCO-Welterbes. Im Fokus liegen globale Bewertungspraktiken, die Authentizitätsvorstellungen an Architekturen anlegen, sowie die internationalen Verhandlungen und Konflikte darum. Im Rahmen einer multi-sited ethnography​werden die soziomateriellen Verknüpfungen zwischen unterschiedlichen Phasen und Orten des Bewertungsprozesses verfolgt. Dieser Teil des Projekts behandelt den Rezeptions- und Beobachtungspol, wobei es um den Bestand schon vorhandener, historischer Architektur geht sowie um eine internationale, nationalstaatlich organisierte Bewertungsinstanz.​

Lehrstuhl-Webseite

academia.edu/HilmarSchäfer

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Johannes Coughlan MA

Wissenschaftlicher Mitarbeiter
„‚Authentizität‘ im Entwurfs- und Planungsprozess“

Die Fallstudie widmet sich den Planungs- und Entwurfsprozessen in Architekturbüros, die an der zukünftigen Gestalt von Städten (mit-)arbeiten. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie im Alltag einer Organisation der Kreativwirtschaft an kulturell wertvollen Artefakten gearbeitet wird und welche Spielräume den Akteur*innen angesichts ökonomischer, organisatorischer und politischer Zugzwänge dabei zur Verfügung stehen. Dieser Teil des Projekts behandelt den Produktionspol sowie den Pol der größtenteils neuen Architektur, und zwar in einem privatwirtschaftlichen Kontext.

Lehrstuhl-Webseite

academia.edu/JohannesCoughlan

Das DFG-Forschungsprojekt wird durchgeführt am Lehrstuhl für allgemeine Soziologie und Kultursoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin (Professor Andreas Reckwitz).

Kontakt